«Latein ist tot – es lebe Latein»

18. Februar 2025

Kurze Geschichte des Lateins und wie es so lange überdauern konnte

Vor einigen Wochen befassten wir uns im Deutschunterricht mit der Geschichte der deutschen Sprache. Wir erarbeiteten im Selbststudium ein Verständnis der Entwicklungen von Sprachen mit Theorien wie der Stammbaum- oder Wellentheorie, wurden in diverse sprachwissenschaftliche Methoden (Morphologie, Phonetik etc.) eingeführt und lernten vielerlei neue Fachbegriffe. Das Ziel war es, nebst der Aneignung eines Verständnisses für Sprachgeschichte, sich auf die Arbeitsweise, wie sie in Hochschulen praktiziert wird, vorzubereiten.

Zu Beginn des Themas wurde die indogermanische Sprachfamilie vorgestellt. Sie ist die größte Sprachfamilie der Welt und umfasst eine Vielzahl an verwandten Sprachen aus dem europäischen und asiatischen Raum. Gemeinsamkeiten dieser Sprachen sind der flektierende Sprachaufbau (Wörter lassen sich abwandeln, also deklinieren, konjugieren etc.), und bei den älteren Sprachstufen der Ablaut (Wechsel des Vokals im Stamm eines Wortes), acht Kasus (grammatische Kategorien, die die Beziehung zwischen Wörtern aufzeigen) und freier Wortakzent (Betonung kann auf verschiedene Silben fallen). (Proto-)Indoeuropäisch ist ca. seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. bezeugt, schriftlich aber nicht belegt und für die Sprachforschung schwierig zu rekonstruieren. Es dient als linguistisches Modell für die Sprachforschung. Der Ursprung dieser Ursprache liegt laut zwei sich ergänzenden Hypothesen im agrarischen Südkaukasus, und bei den ersten Sprechern handle es sich um eine nomadische, berittene Hirtenkultur. Zu diesem Schluss kommt die Sprachforschung, wenn man davon ausgeht, dass gewisse Wörter bei allen indoeuropäischen Kulturen vertreten waren, wie Mensch, Mutter und spezifische Wörter aus dem Ackerbau, und man so vom Wortschatz auf die indoeuropäische Kultur schließen kann.

Die indoeuropäische Sprache entwickelte sich nach und nach in mehrere Sprachzweige weiter und bedeckte einen großen geografischen Raum, der sich von ganz Europa bis nach Indien erstreckte. In meinem Blog will ich mich auf den italischen Zweig bzw. Latein konzentrieren und herausfinden, wie sich diese Ursprache entwickelte und zu dem wurde was sie ist und wie sie so lange überdauern konnte.

Heutige Verteilung indogermanischer Sprachzweige

Die Entwicklung des Lateinischen

Latein entstand im 7. Jahrhundert v. Chr. in der heutigen Region Latium in Italien und gehört zu einem Hauptvertreter des italischen Zweigs im indoeuropäischen Stammbaum. Aus der frühesten Form des Lateinischen, dem Frühlatein, entwickelte sich durch Rhotazismus (Lautveränderung der Konsonanten /s/ oder /z/ zu einem /r/) und Vokalschwächungen (Vokale in unbetonten Silben werden abgeschwächt) das Altlatein. Ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. entwickelte sich das Altlatein mit Assimilationen (phonologischer Prozess, bei dem sich Laute für eine einfachere Aussprache angleichen) und anderen orthografischen Veränderungen zum heute bekannten klassischen Latein.

Latein war die Amtssprache des Römischen Reiches und behauptete sich durch die römische Literatur auch zunehmend als Literatur- und Wissenschaftssprache gegenüber Altgriechisch. Mit Autoren wie Cicero oder Ovid wurde ab etwa 60 v. Chr. die Literaturepoche der Goldenen Latinität eingeläutet: Laut der klassischen Philologie erreichte Latein in dieser Epoche inhaltlich, sprachlich und formal seinen Höhepunkt. Die Literatur dieser Zeit gilt als mustergültig, was heißt: Sie ist nicht verbesserungsfähig, und jegliche Abweichung davon zeugt von einem tieferen Sprachniveau. Nach dieser Zeit veränderte sich das literarische Latein deshalb praktisch nicht mehr. Spätlatein besaß zwar neues Vokabular, doch die Grammatik änderte sich nicht mehr. Das vom ordinären Volk gesprochene Latein (auch Vulgärlatein genannt) erlebte dagegen im Frühmittelalter eine Reihe von Veränderungen, wodurch dann die romanischen Sprachen entstanden. Literarisches Latein verschwand also allmählich als Muttersprache und wurde durch Vulgärlatein oder andere Sprachen als Alltagssprache ersetzt, eignete sich aber durch die schriftliche Fixierung als Gelehrtensprache.

Beziehungen und Verwandtschaften der romanischen Sprachen

Ist Latein eine "tote" Sprache?

Wann gilt eine Sprache als „tot“? Diese Fragen lassen sich nicht so einfach beantworten, aber grundsätzlich kann man sagen: Ja und Nein.

Sprachen können auf unterschiedliche Weise leben: Primär in gesprochener Form, wo sie von Generation zu Generation mündlich weitergegeben werden. Wird Sprache nur in gesprochener Form weitergegeben, verändert sie sich enorm. Erst durch eine Fixierung in einer Schrift kann eine Sprache formal unterrichtet werden und Lesen und Schreiben ermöglichen. Durch diese Fixierung erhält die Sprache eine zweite Existenzform und ist praktisch unveränderlich – im Gegensatz zum gesprochenen Wort, das nur durch die Erinnerung der Menschen existiert und verschwindet, sobald es vergessen wird.

Literarisches Latein als Sprache ist also gestorben, als die Sprache vollständig ins Schriftliche überging und vom Vulgärlatein und den romanischen Sprachen ersetzt wurde, sodass es bald keine Muttersprachler mehr gab. Auch durch den Fall Westroms verschwand Latein vielerorts als Amtssprache. Dennoch überdauerte das literarische Latein Jahrhunderte, etablierte sich als Wissenschaftssprache und wird heute noch in diversen Bereichen als Fachsprache verwendet.